Ja, unbedingt!
Erfahrungsbericht
Trainingswohnen für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung
Äußere Strukturen geben Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung innere Sicherheit. Wie das in der Alltagspraxis funktioniert, zeigt dieser Erfahrungsbericht.
Katharina Friedrich ist 34 Jahre alt und lebt in einer von alpha nova betreuten Trainingswohnung in der Grazer Innenstadt. Auf die Frage, wie es ihr geht, runzelt sie die Stirn: „Der Tag hat 24 Stunden, da kann ich meine Antwort nicht auf diesen einen Moment reduzieren.“ Soziale Interaktion ist für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung ein Stressfaktor. „Außerdem haben sie die Vorstellung: So wie meine Welt ist, ist die gesamte Welt. Deshalb trainieren wir, wie man auf andere Denk- und Verhaltensweisen reagiert“, erklärt Maria Hirczy, Psychologin bei diesem Wohnangebot und Bezugsbetreuerin von Katharina Friedrich.
Den Alltag so lange trainieren,
bis er einwandfrei funktioniert.
In deren Wohnung reinigen sie gerade den Fußboden gemeinsam. „Sie zeigt mir, in welchem Raum ich anfangen und wo ich aufhören soll und wie man den Lappen richtig auswringt“, sagt Katharina Friedrich. Solche Alltagstätigkeiten werden in den Trainingswohnungen so lange trainiert, bis sie funktionieren. „Die Fähigkeit, etwas intuitiv zu erfassen oder nachzumachen, ist bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung nicht vorhanden. Neues lernen sie ausschließlich auf der rationalen Ebene – das muss man kontinuierlich trainieren“, bestätigt Maria Hirczy.
Eine klare Lebensstruktur haben,
und viel Selbstbestimmung leben.
Für einen reibungslosen Alltag sind individuelle Tagesabläufe und fixe Wochenpläne notwendig. „Es klingt paradox: Aber je engmaschiger das Leben von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung ist, umso mehr innere Freiräume entstehen für sie.“ Wenn der strukturelle Rahmen steht und man das richtige Lernmodell für die jeweilige Person findet, kann es viele Entwicklungserfolge geben. „Und manchmal zeigen sich sogar wunderbare Talente“, findet Maria Hirczy. Wie bei Katharina Friedrich, die musikalisch hochbegabt ist. Sie packt die Gitarre aus, denn so steht es auf ihrem Tagesplan. „Ist es okay, wenn ich das Stück für dich auswähle?“, fragt ihre Bezugsbetreuerin. „Ja, unbedingt“, antwortet Katharina Friedrich und setzt sich ans Notenpult.
Mit dem richtigen Lernmodell ist viel Entwicklung möglich.